Christine D. Hölzig, Leipzig
Würdigung
Definitily maybe – definitiv vielleicht: „Es ist fraglich, ob die Natur überhaupt „aussieht“. Es ist fraglich, ob die Welt einen feststehenden Aspekt bietet. Es könnte sein, dass die Augen ein Netzwerk ins Dunkel auswerfen, das einem dem Menschen fassbare Welt durch den Menschen selbst entstehen lässt.“ schrieb Willi Baumeister in seiner Veröffentlichung „Das Unfassbare in der Kunst“. Welch eine Chance, durch künstlerische Arbeit die Welt in einer anderen Art und Weise wahrnehmen zu können, etwas aufzubrechen, das durch Sehgewohnheiten überformt und bestimmt ist! Franziska Ewald sucht in ihren Gemälden nach individuellen Bildern und Räumen. Sie treibt vor allem die Sehnsucht, für Gefühle, Befindlichkeiten und Ausstrahlungen die richtige Form zu finden. Das heißt für sie auch, scheinbar Nebensächliches als zentrales Bildelement in den Mittelpunkt zu stellen, sofern es Initial zündend für Wahrnehmungen aus der Umwelt, ihren Lebenserfahrungen und Gefühlen war. So entstehen Bilder von Bewegungen auf Wasseroberflächen, Landschaftseindrücke, Pflanzen, Porträts von Jugendlichen und Mitgliedern ihrer Familie. Stets stehen die Motive exemplarisch für Gefühle, die im oder hinter dem Thema stecken. Der Volksmund sagt, man trage Bilder im Herzen. So gibt es wohl eine Schnittstelle zwischen den gespeicherten Emotionen der Künstlerin und denen der Betrachter. Erinnerungen und Sehnsüchte, Glücksgefühle und Ängste – gibt es archetypische Bilder dafür? Definitily maybe. Den bestmöglichen Ausdruck zu finden und auszuprägen ist nach wie vor die Schlüsselaufgabe der Kunst. Franziska Ewald begegnet diesem Anspruch im förderlichsten Sinne durch die Auswahl der Motive und der ihrem künstlerischen Wollen entsprechenden realistischen Auffassung. Vor allem arbeitet sie in Öl auf Leinwand. In der Ausbildung als Autodidaktin begonnen, ist es der Bernerin gelungen, sowohl durch gezielte Kurse wie Künstlerkontakte sich so zu schulen, dass ihre künstlerische Handschrift eigen und überzeugend ist. Auffallend ist natürlich, dass ihre Formsprache wesentlich näher der der Neuen Leipziger Schule ist, als jener ihrer Heimatstadt. Ihr Engagement für das Künstlerprojekt „The world is not enough – Kunstaustausch Leipzig – Bern“, in welchem ich sie und ihre Arbeit in meiner Funktion als Kuratorin der Leipziger Seite im Jahr 2004 kennenlernte, gründete bereits auf ihrem Interesse an der Leipziger Malerei. Die Aufmerksamkeit für die Leipziger Kunst war zu diesem Zeitpunkt enorm. So titelte das Hamburger Kunstmagazin „art“ im Dezemberheft 2004 „Leipzig leuchtet“ und nannte Leipzig „Die Stadt der Leinwandhelden“. Die Überraschung der Kunstwelt galt der Renaissance der figürlichen Malerei, die eng mit dem Namen der Neuen Leipziger Schule verknüpft ist. Heute gilt sie als das erste wichtige Phänomen der bildenden Kunst des 21. Jahrhunderts. Dabei kam der Erfolg der in Ostdeutschland – eben in Leipzig – ausgebildeten Künstler zwar nicht von ungefähr, aber durchaus unerwartet, denn nachdem in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die Malerei tot gesagt worden war, Konzeptkunst und Neue Medien Ausstellungen und Galerien überfluteten, schien eine derart große Aufmerksamkeit für das traditionelle Medium nicht möglich. Doch wie es mit Tot-Gesagten häufig ist: Es lebte die Malerei prächtig auf! Und Franziska Ewald fand nicht nur in den Berichten, sondern im Kontakt zu Leipziger Künstlern ihr künstlerisches Wollen bestätigt und fühlte sich gefördert. Wenn eine wesentliche Wurzeln des Erfolges der Leipziger Malerei die Ausbildung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst war, so konnte die Bernerin davon profitieren, denn bekannte Künstler wie Hans Aichinger, Annette Schröter oder Mathias Perlet pflegten einen förderlichen Austausch mit ihr. Der zweimonatige Aufenthalt als Artist in Residence in Leipzig bot der Künstlerin dafür eine ideale Situation. Die Vielzahl der Ateliers und Ausstellungen, die Franziska Ewald besuchte, trug ebenso dazu bei, dass sie im Umgang mit ihren künstlerischen Mitteln Sicherheit erwarb und seit einigen Jahren auch große Formate kompositorisch wie malerisch beherrscht. Gegen eine vordergründige Romantik arbeitend, gelingt es ihr, mit und durch ihre Malereien Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die auch den Betrachter neugierig machen. Die Gefühle resultieren im Werk von Franziska Ewald aus Beziehungen. Die Beziehungen des Menschen zur Natur und die Beziehungen untereinander. So transportiert sie Liebe, Nachdenklichkeit, Geborgenheit und vor allem Sehsucht. Ob sie diese in die Augen der Jugendlichen gespiegelt malt, sie in Umarmungen spürbar macht oder in den Wasseroberflächen gebrochen schillern – immer gelingt es Franziska Ewald, damit den Betrachter zu berühren. Der Gegenstand der Sehnsucht scheint einerseits weit entfernt, aber dann doch erreichbar. Die Wirkung bleibt unbegreiflich: definitely maybe.
Christine Dorothea Hölzig, Kunsthistorikerin, Leipzig
Dr. Sybille Walther
Vor bald hundert Jahren schrieb ein grosser Maler einen Einführungskurs für die Lehre am Bauhaus in Weimar. In der Einleitung zu seiner „Bildnerischen Formlehre“ sagt Paul Klee Folgendes: «Wir untersuchen die Wege, die ein Anderer beim Schaffen seines Werkes ging. (…) Es soll uns diese Art von Betrachtung davor bewahren, das Werk als etwas Starres unverändert, fest Stehendes aufzufassen. Wir werden durch solche Übungen, uns davor bewahren können, uns an ein Werkresultat heranzuschleichen, um schnell das Vorderste abzupflücken und damit wegzulaufen.» Ich möchte mich nun auf eine solche Betrachtung einlassen, auf einen visuellen und assoziativen Spaziergang entlang der von Franziska Ewald angelegten Wege. Wie Gebiete, Orte, sorgfältig gemalter Pläne erscheinen die verschiedenen, in den letzten fünf Jahren entstandenen Themenkreise. Die Titel machen uns entweder stutzig oder sie regen zum Träumen an: Interface, Mecklenburg, Nature, Portraits, Objets trouvés. Die Titel sind das „Vorderste“, wie Paul Klee es nennt. Hier, sind sie sachlich, fast anonym. Sie gehören verschiedenen Sprachräumen und Kulturen an und stecken so auch einen weiten Rahmen ab. Mit dem nächsten Schritt, der uns hinein, in einen solchen Themenkreis führt, entdecken wir weitere Titel: zum Beispiel, Der Hausbau, ein Untertitel zum Thema Portraits, wiederum eine sehr sachliche Angabe. Wenn wir das dazu passende Bild anschauen (>), erweist sich diese Bezeichnung als wunderbar humorvoll, wohlwollend, jedoch auch als zurückhaltend, ja fast ernst, geht der Begriff doch auf die existentiellen Grundbedürfnisse des Menschen ein, die im kindlichen Spiel vielfach im Zentrum stehen. Die farbliche Zurückhaltung des Bildes bietet einen weiteren Bildpfad: Emotionen, die beim Betrachten der eigenen Kinder unweigerlich in den Vordergrund treten, werden hier diskret zurückgenommen, dank des Titels, jedoch auch dank der malerischen Möglichkeiten: Ein Blickwinkel, der die Kinder, in Rückansicht, als detailreiche und ausgearbeitete Einheit in den Vordergrund rückt, während Bank und Baum diese Reise der Erinnerung ins hier und jetzt nicht mitgemacht haben; eine Farbskala, die zu der Verhaltenheit des Titels passt, warm, im Zentrum intensiver, aber schon verblasst, fast nostalgisch, das Andenken an eine längst vergangenen Zeit. in der Serie Jugend, die im Atelier ausgestellt ist, steht wiederum der Mensch im Zentrum: Ausgehend von der Reihe „Wir sind Vorübergehende“, die den Menschen lediglich als Gestalt im Nebel wahrnimmt, legt Franziska Ewald den Fokus auch hier auf das Charakteristische, das nicht Zufällige, nicht Belanglose. Dank intensiver, auf die Ausstrahlung der Dargestellten abgestimmte Farbskala, und dank einer genauen Studie der typischen Gebärden, gelingen der Künstlerin einprägsame Charakterstudien. Tritt der Bildwanderer nun abermals einen Schritt zurück zu den Übertiteln, wird er oder sie bemerken, dass die zu Anfang erwähnten Themenkreise der Ölbilder im Grunde zwei Bereichen angehören: Menschen und Natur. Anders als beim Menschen, der seinem Wesen wohl ein Leben lang treu bleibt, charakterisiert das Wort Veränderung die Natur wohl am besten. Jene Veränderung, die vom Rhythmus der Jahreszeiten abhängig ist, jedoch auch jene, die auf das Handeln des Menschen zurückzuführen ist. Die Haselnüsse mit Hüllblättern (>) veranschaulichen diese Doppeldeutigkeit bestens. Der Unbescholtene Betrachter nähert sich dem Werk und, vom Titel der Serie „Nature“ geleitet, sieht er in den fein geschichteten Lagen der Blätter die unaufhaltsame, durch den Winter herbeigeführte Verhärtung, die die kraftvollen, saftigen Blätter zu hilflos greifenden Armen erstarren lässt, deren behütete Frucht sie nur wiederwillig preisgeben. Erblickt der Betrachter nun den eigentlichen Titel des Werkes, wird er erneut staunend zurücktreten: Medusa, die unheilvolle, einzig sterbliche Gorgone, deren Kopf mit Schlangen versehen war und deren Blick alles Leben erstarren und zu Stein werden liess. Die Haselnuss als tote Natur und totbringender Mensch zugleich. Der existentielle Kampf ist auch Thema bei den Möwen im Atelier, ein Kampf den die Künstlerin evolutionistisch auch „survival of the fittest“ genannt hat. Franziska Ewalds Kunst versucht nicht die Harmonie einer utopischen heilen Welt darzustellen, sie forscht nach Brüchen, nach Doppeldeutigkeiten an elementaren Orten in der heutigen Welt. Die einfühlsame und intelligente Hängung von Barbara Breitenstein unterstützt die Begrifflichkeit der Bilder aufs Beste. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!!!
Sibylle Walther
Dominik Imhof
Text von Dominik Imhof :
zur Ausstelung vom 9.-11.9.2011 in der Galerie Gepard14, Liebefeld
Auf der Suche nach der Zeit
«Wo bleibt die Zeit?» fragt sich die Malerei seit Jahrhunderten. Sie hat sich als Medium des Moments und der zweidimensionalen Fläche immer schwer getan mit der Darstellung von Zeit und Zeitlichkeit, und trotzdem haben Maler und Malerinnen stets versucht, Zeit abzubilden oder ihren Werken Zeitlichkeit zu verleihen. Franziska Ewald geht in ihrer Ausstellung bei gepard14 auf die Suche nach der Zeit und entführt den Betrachter in genauso stimmungsvolle wie vergängliche Momente. Den Auftakt der Ausstellung macht eine Gruppe von stillen Pflanzenbildern. In frostiger Winterkälte erscheinen hier Hagebutten, Mais oder die Zweige eines Apfelbaums in scheinbar leblosem Stillstand. Man glaubt die Ruhe und klirrende Kälte zu spüren und gleichzeitig wissen wir, dass wir nur auf einen Moment im steten Kreislauf der Natur blicken. Vielleicht in wenigen Tagen oder Monaten werden diese Pflanzen aufblühen und Früchte tragen. Wenn in diesen Werken die Dinge noch lebend in winterlicher, vorübergehender Starre ruhen, so ist die «nature morte» in «Nachsaison» wörtlich zu verstehen. Verblühende Tulpen in leuchtendem Gelb sind hier in einer kühl, gläsern spiegelnden Umgebung dargestellt. Keine andere Gattung der Malerei ist so intensiv und direkt mit dem Fliessen der Zeit verbunden wie das Stillleben. Seit seiner Entstehung ist dieses Genre kaum trennbar von Begriffen wie «Memento mori» und «Vanitas». Die Üppigkeit des Alltags – auserlesene Blumen oder köstliche Speisen – verweist auf die Flüchtigkeit alles Irdischen. Mit den Figurenbildern des Hauptraums verwebt uns Franziska Ewald noch viel mehr im Netz der Zeit, was im Zitat von Jorge Luis Borges angetönt wird: Wir sind untrennbar mit der Zeit und ihrem Fliessen verkettet. Nicht mehr die Vergänglichkeit steht im Fokus, vielmehr sind es die Relationen zwischen Vergangenheit und Gegenwart anhand von Erinnerungen. Die Szene der am Strand spielenden Knaben in «die Verhandlung» könnte sich fast überall abspielen. Der Ort bleibt vage. Losgelöst aus ihrem Umfeld erhalten die Motive einen überindividuellen Charakter. Auch das Mädchen mit der Krone, das sich nichts sehnlicher wünscht, als Königin zu sein, scheinen wir zu kennen. Gleichzeitig wissen wir (als Erwachsene), dass wir eben nicht Königin oder Astronaut geworden sind. Die Ballettstunde und der Hausbau im Sandkasten zeigen ebenfalls diese typischen Momente der Kindheit. In ihrer beinahe monochromen Malerei betont Franziska Ewald diesen Moment des Erinnerns, dass unscharf, verschwommen und in weiter Ferne erscheint. In Prousts «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» ist es der Geschmack einer Madeleine, die den Protagonisten von Glücksgefühlen überwältigt auf eine Kopfreise zurück in seine Kindheit führt. Eine Suche nach dem verborgenen Raum, indem die Zeit stillsteht und damit die Suche nach einem Hauch von Unsterblichkeit, indem man in Erinnerungen schwelgend die Gegenwart vergisst. Ähnliche Stimulatoren sind Franziska Ewalds Bilder, die ebenso Erinnerungen und Assoziationen erzeugen. Sie zeigen uns scheinbar Bekanntes und Erlebtes. Szenen, die im kollektiven Erinnerungsschatz unserer Gesellschaft irgendwo gespeichert sind. In der Alltäglichkeit und Unbestimmtheit ihrer Gemälde evoziert Franziska Ewald eine bezaubernde Melancholie der Vergänglichkeit, der verschwindenden Erinnerungen.